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Ich komme zu mir selbst
Ich erinnere mich noch gut daran, daß ich vor über zwanzig Jahren zu einem befreundeten Pfarrer sagte: „Ich muß etwas für meine Seele tun; ich lebe mein Leben nicht mehr selber, sondern ich werde gelebt durch die vielen Verpflichtungen und Termine, denen ich nachkommen und die ich einhalten muß. Außerdem habe ich das Gefühl, leer und ausgebrannt zu sein. Mein Inneres ist wie ein ausgetrockneter Brunnen; Es fließt nichts mehr nach. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes erschöpft. Wie kann ich anderen noch etwas geben oder vermitteln, wenn in mir selbst nichts mehr ist, nichts mehr lebt?"
Daraufhin lud mich mein Freund spontan zu einem Meditationskurs unter der Leitung von Pater Beda in der Benediktinerabtei Neresheim ein.
Dieser fünftägige Kurs ist für mich unvergeßlich: Wir saßen mit dem Gesicht zur Wand in einem weiß gestrichenen Raum, dessen einziger Schmuck ein Kruzifix war, etwa neunmal dreißig Minuten von morgens bis abends. Zwischen den Meditationszeiten fand ein langsamer, meditativer Rundgang statt. Einmal am Nachmittag hörten wir einen Vortrag und wer wollte, konnte Pater Beda um ein Gespräch bitten; außerdem nahmen wir am Stundengebet der Mönche teil; sonst herrschte absolutes Schweigen.
Dieser erste Meditationskurs in meinem Leben wirkt bis heute nach. Natürlich hatte ich auch Schwierigkeiten: Manchmal taten mir die Knie weh, manchmal waren die Schultern schmerzhaft verspannt; störende Gedanken machten jede Sammlung unmöglich; und manchmal schien es endlos zu dauern bis eine Meditationszeit zu Ende war.
Aber am Ende dieser Tage war ich innerlich sehr viel ruhiger geworden. Hatte ich am Anfang der Woche das Gefühl, daß mein Inneres wie eine Schale ist, in der eine Kugel aufgeregt und wie wild hin und her saust, so hatte ich am Ende des Kurses das Gefühl, daß die Kugel zur Ruhe gekommen auf dem Grund der Schale lag – nur ab und zu zitterte sie noch ein bißchen.
Und ich habe in diesen Tagen wieder meine Träume entdeckt, Träume, die mir zu inneren Begleitern und wegweisenden Gefährten wurden – und es bis heute geblieben sind. Das war vielleicht die wichtigste Entdeckung - auch wenn ich mir dessen damals noch nicht bewußt gewesen bin -: daß es ein Inneres gibt, das zu entdecken und immer neu zu erfahren ein großes Geschenk und zugleich eine große Aufgabe ist.
Ich glaube, daß heute viele Menschen für Meditation und für Zeiten der Stille offen sind, weil sie nicht mehr zu sich selbst kommen, weil sie aufgefressen werden von den nicht endenden Verpflichtungen und weil sie unterzugehen drohen in den vielen Bildern, in den Geräuschen und in der Hetze unseres Alltags.
In der Meditation entdecken sie eine Möglichkeit bei sich selbst und für sich zu sein. Einmal am Tag (oder in der Woche) müssen sie nichts tun, haben sie Zeit für sich, sind sie zu nichts verpflichtet. Und so entdecken sie ganz neu wohltuende Ruhe, Stille und Sammlung.
Darum kann ich es gut verstehen, wenn Menschen immer wieder sagen, daß sie meditieren möchten, um Ruhe und Stille zu finden und um endlich einmal zu sich selbst zu kommen. Anfangs erleben das viele auch als beglückend und bereichernd.
Aber wer zu sich selbst kommt, der kommt auch zu den dunklen Seiten seines Wesens und Lebens. Wer nicht mehr mit irgend etwas beschäftigt ist, der erinnert sich plötzlich an Schönes und Beglückendes, aber auch an Bedrängendes, Beschämendes und Beängstigendes. Darum ist es gut, auf dem Weg der Meditation Menschen oder Begleiter zu haben, mit denen man vertrauensvoll sprechen kann, wenn es notwendig ist.
Beten ohne Worte und ohne Gedanken
Es ist verständlich, daß Menschen sich der Meditation zuwenden, weil sie Sammlung, Ruhe und Stille neu entdecken möchten. Und es soll niemanden verwehrt sein, aus diesem Grund und mit diesem Ziel zu meditieren.
Aber Meditation ist mehr als eine Entspannungsübung. Sie ist ein religiöser, ein spiritueller Übungsweg. Für mich ist Meditation ein gesammeltes, schweigendes Dasein vor Gott und in Gott.
Anders gesagt: Ich entdecke immer wieder neu, daß Meditation wie ein „Beten ohne Worte und ohne Gedanken" ist.
Natürlich darf ich mit Worten und Gedanken beten – so wie ich es gelernt habe und wie es in unseren Gottesdiensten üblich ist. Ich kann im Gebet sagen und erzählen, was mich beschäftigt; ich kann klagen und mich beklagen, ich kann bitten und danken, ich kann weinen und zornig sein.
Aber wenn ich keine Worte mehr habe? Wenn ich wie auf den Mund und auf das Herz geschlagen bin? Wenn ich nicht mehr weiß, wohin ich meine Worte richten soll? Nach oben oder nach unten? Nach außen oder nach innen? Wenn ich nicht weiß, an wen ich meine Worte richten soll? An Gott? Aber wer oder was ist das? Und wenn ich nicht mehr weiß, ob es überhaupt einen Sinn hat oder notwendig ist, Gott um etwas zu bitten? Was soll oder kann ich dann noch tun?
Dann kann ich mich hinsetzen, meine Hände gefaltet in den Schoß legen und nur da sein. Ich muß nichts sagen, nichts denken, nichts bitten. Gott weiß ja schon, was mich beschäftigt, was ich brauche oder was ich loswerden möchte – er weiß alles, ehe ich es überhaupt denke oder sage. Vielleicht spüre ich dabei mein Ein- und Ausatmen. Und jedes Einatmen kann wie eine Bitte sein, wie ein Kraftschöpfen – eben wie Luftholen. Und jedes Ausatmen ist wie ein Niederlegen, wie ein Loslassen, wie wenn ich alles in Gottes Hände lege. Ich kann beten ohne Worte, ohne Gedanken, nur durch da sein vor dem Geheimnis, das wir Gott nennen.