Hauptmenü:
Der richtige Ort
Zunächst ist es wichtig, daß Sie sich einen für Sie richtigen und angemessenen Ort suchen! Sie brauchen einen Raum, in dem Sie nicht gestört werden. Wer alleine lebt, wird damit weniger Schwierigkeiten haben als diejenigen, die ihre Wohnung oder ihr Zimmer mit anderen teilen müssen. Nur die wenigsten von uns werden sich einen eigenen Meditationsraum einrichten können. Aber vielleicht können wir uns in einem unserer Zimmer eine Ecke oder einen Platz so gestalten, daß wir möglichst wenig abgelenkt werden. Vielleicht können wir einen Stuhl oder ein Meditationsbänkchen so stellen, daß wir auf eine leere Wand oder einen ruhigen Fußboden blicken können.
Manche gestalten sich ihren Meditationsplatz auch mit einem Kruzifix, einer Kerze, einem Stein oder einem Blumenstrauß.
Und wenn mir alle diese Möglichkeiten versagt sind? Dann setze ich mich in meinem Zimmer hin, so wie es ist. Ich hörte von einer Mutter, die sich jeden Vormittag in das unaufgeräumte Wohnzimmer zum Meditieren setzte, wenn Mann und Kinder aus dem Haus waren.
Hier taucht ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt jeder Meditation auf: Ich versuche in meiner Meditation nicht ein Ideal zu verwirklichen. Ich nehme den Raum, wie er ist, ich nehme mich selbst wie ich bin. Und ich akzeptiere auch mein Meditieren so wie es ist.
Am wichtigsten im Blick auf den Raum ist, daß Sie nicht gestört werden. Sagen Sie vor Ihrer Meditationszeit Ihren Mitbewohnern Bescheid, damit sie ans Telefon oder an die Haustüre gehen, wenn es klingelt.
Die richtige Zeit
Wählen Sie die für Sie richtige und angemessene Zeit! Wann Sie meditieren, hängt wieder von Ihren persönlichen Lebensumständen und von Ihrem Wesen ab. Manche können am besten morgens meditieren, andere am Abend; wieder andere müssen sich an ihrem Beruf oder an den familiären Verhältnissen orientieren.
Wenn Sie regelmäßig einmal am Tag Zeit für Ihre Meditation finden, ist das gut; wenn es Ihnen möglich ist, morgens und abends Zeit für Ihre Meditation zu haben, seien Sie froh und dankbar. Und es ist auch in Ordnung, wenn manche nur einmal in der Woche die für ihre Meditation notwendige Zeit finden.
Wichtiger als die Frage, ob Sie einmal oder zweimal täglich meditieren ist die Regelmäßigkeit. Meditieren Sie in Ihrem Rhythmus, ob sie Lust dazu haben oder nicht. Wir müssen uns wieder dessen bewußt werden, daß auch geistliche und geistige Dinge regelmäßig und treu geübt werden müssen. Bei Künstlern und Sportlern ist es selbstverständlich, daß sie täglich üben, sogar mehrere Stunden. Aber bei geistlichen Dingen meinen wir, sie würden uns zufallen, wenn wir sie brauchen. Natürlich sind der Geist und alles Göttliche unabhängig von unseren Übungen. Wir können sie durch nichts zwingen. Und doch ist es wichtig, zu üben, sich gewissermaßen in Form zu bringen und sich vorzubereiten. Das wird möglich durch die regelmäßige und treue Meditation.
Natürlich gibt es außergewöhnliche Situationen oder Ereignisse, z.B. Reisen oder Krankheiten, die Ihnen das Meditieren unmöglich machen. Dann sollten Sie auch getrost auf Ihre Meditation verzichten; denn auf keinen Fall sollen Ihre Übungen ein Zwang oder ein Krampf werden. Haben sie kein schlechtes Gewissen, wenn es Ihnen einmal nicht möglich ist zu meditieren!
Wichtig ist auch die Dauer Ihrer Meditation. Fangen Sie mit wenigen Minuten an, vielleicht mit fünf oder sieben Minuten. Und halten Sie sich an diese fünf Minuten eine ganze Woche lang. Dann können Sie die Dauer ihrer Meditation langsam steigern auf acht, zehn, fünfzehn und schließlich auf zwanzig oder fünfundzwanzig Minuten. Es ist besser regelmäßig eine kurze Zeit zu meditieren als eine lange unregelmäßig.
Hilfreich ist es, wenn Sie sich einen Zeitmesser anschaffen, der nach Ablauf der eingegebenen Meditationszeit nicht zu laut klingelt. Von einem normalen Wecker würde ich abraten, weil man durch das gleichmäßige Ticken gestört werden kann.
Der angemessene Sitz
Grundsätzlich können Sie auf jedem Stuhl und in jedem Sessel meditieren. Wenn man Beschwerden am Rücken oder in den Knien hat, ist es unsinnig, sich nicht anlehnen zu wollen oder sich auf ein Meditationsbänkchen zu knien. Es gibt keine ideale Sitzweise, sondern nur die für Sie richtige oder die Ihnen angemessene.
Wenn Sie jung und gesund sind, sollten Sie sich von einem Meditationslehrer das Sitzen im Lotussitz oder das Knien auf einem Meditationsbänkchen zeigen lassen. Auch Meditationsbücher können dafür hilfreiche Hinweise geben*1.
Wichtig ist eine Sitzhaltung, in der Sie ganz entspannt und zugleich ganz wach sitzen können. Gut ist es, wenn der Rumpf aufgerichtet und ganz natürlich aus dem Becken emporwächst wie ein Baumstamm aus seiner Wurzel. Die Sitzfläche soll so hoch sein, daß sich die Oberschenkel leicht nach unten neigen. So wird vermieden, daß der Unterleib eingeengt wird. Die Füße stehen flach auf dem Boden, etwa zwanzig Zentimeter von einander entfernt.
Seitdem ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auf dem Boden knien oder sitzen kann, lege ich ein halbiertes Stück Rundholz auf einen Stuhl und setze mich auf die flache Seite des Rundholzes. Auf diese Weise richtet sich der Leib wie von selbst auf, ohne dabei starr oder verkrampft zu sein.
Der Kopf ist leicht geneigt, so daß Sie ungefähr zwei Meter vor sich auf den Boden sehen. Lassen Sie bewußt Ihre Stirne los; auch die Wangen sind ganz locker und die Lippen ruhen lose aufeinander. Die Zunge liegt locker im Mundraum*2.
Die Hände liegen locker auf den Oberschenkeln. Legen Sie die linke Hand in die rechte; die Daumenkuppen berühren sich leicht. Auf diese Weise bilden Schultergürtel, Arme und Hände eine ovale Kreisform. So sind Sie wie ein geschlossener Raum; Sie sind ganz bei sich.
Die Augenlider fallen leicht herunter, so daß Sie den Boden vor sich gerade noch wahrnehmen. Ich kenne aber auch Meditierende, die damit Schwierigkeiten haben und lieber mit geschlossenen Augen meditieren.
So beginnt jede Meditation mit dem richtigen, mir angemessenen Sitzen. Jedes Meditieren beginnt damit, daß ich mir bewußt mache: Ich sitze, ich richte mich in meinem Leibe auf und ich erspüre mein Sitzen!
Ich werde getragen
Und dann können Sie anfangen zu erspüren, wie Sie gehalten und getragen werden. Versuchen Sie zu erspüren, wie Ihr Gesäß auf der Sitzfläche Ihres Stuhles ruht und wie der Stuhl sie trägt. Wenn Sie angelehnt sitzen, erspüren Sie, wie die Lehne Ihres Stuhles Sie stützt. Erspüren Sie ebenso, wie der Fußboden Ihren Füßen sicheren Grund gibt. Und dann spüren Sie weiter, wie die Arme auf den Oberschenkeln ruhen, wie die linke Hand in der rechten liegt und wie sich die Kuppen der Daumen leicht berühren.
Dabei werden Sie entdecken, daß plötzlich Gedanken auftauchen, durch die Sie abgelenkt werden. Immer wenn das geschieht, ärgern Sie sich nicht, sondern kehren Sie zum Erspüren dessen, was Sie trägt oder stützt, zurück.
Ärgern Sie sich nicht, das heißt zensieren Sie sich nicht! Denn alles, was an Ablenkung auftaucht, ist wichtig und hat seinen Grund, seien es angenehme Gedanken, seien es quälende oder bedrängende. Lassen Sie alle Gedanken vorüberziehen und kehren Sie zum Erspüren zurück – immer wieder und immer neu, bis Ihre Meditationszeit zu Ende ist.
Mit den Gedanken ist es wie mit den Wolken, die über unseren Kopf hinwegziehen. Wir können den Wolken lange nachsehen – oder wir lassen sie dahinziehen, ohne uns um sie zu kümmern. Wenn Sie regelmäßig meditieren, werden Sie ein Gespür dafür bekommen, ob Sie einem Gedanken lange und intensiv nachgehen oder ob sie ihn nur kurz wahrnehmen und dann vorüberziehen lassen. Aber wie auch immer Sie abgelenkt sein mögen, kehren Sie zum Erspüren des stützenden und tragenden Grundes zurück.
Und nach einer Weile können Sie innerlich sprechen, beten oder singen „Ich werde getragen!"
Meditieren – mit einem Wort
Wenn Sie möchten, können Sie die Worte immer neu wiederholen: „Ich werde getragen". Denken Sie über diese Worte nicht nach. Wiederholen Sie sie in gleichmäßigem Rhythmus, immer wieder. Und wenn Sie abgelenkt werden, kehren Sie zurück zum innerlichen Sprechen dieser wenigen Worte.
Damit sind wir bei einer alten christlichen Meditationsweise, dem betenden Wiederholen eines einzigen Satzes oder eines einzigen Wortes.
Diese Tradition geht zurück ins 4. Jahrhundert nach Christi Geburt. Damals lehrte der Mönchsvater Cassian seine Brüder das sogenannte Ruhegebet aus Psalm 70: „Eile, Gott, mich zu erretten, Herr, mir zu helfen!*3" Auch hier kommt es darauf an, die Worte langsam, in gleichmäßigem Rhythmus innerlich zu wiederholen, ohne über sie nachzudenken.
Sie können aber auch einen anderen Satz der Bibel, der Ihnen wichtig ist oder Ihnen gefällt, zu Ihrem Meditationsgebet machen. Ich gebe nur ein paar Beispiele: „Der Herr ist mein Hirte" – „Du führst mich" – „Der Herr ist mein Licht und mein Heil" - „Du kennst mich" – „Für ewig steht die Gnade fest". Ebenso können Sie Worte aus Gedichten, Zeilen aus Ihrem Gesangbuch oder frei gewählte Worte zu Ihrem Meditationswort machen: „Du in mir, ich in dir" – „Gott ist gegenwärtig" – „Ich bin da" – „Werden, lassen" – „Wer bin ich?".
Aus der Ostkirche stammt die Tradition des Jesusgebetes: „Herr, Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner!*4" Manche wiederholen dieses Gebet auch in einer kürzeren Fassung zum Beispiel „Jesus Christus, erbarme dich!" oder: „Jesus Christus" oder nur das Wort „Jesus".
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es hilfreich ist, nur mit einem einzigen Wort zu meditieren, einem Wort, das nur ein bis drei Silben hat, zum Beispiel mit dem Wort „Jesus". Sie können aber auch ein anderes Wort wählen, zum Beispiel „Gott" oder „Gnade" oder „Liebe" oder „Friede" oder „Schalom" oder „Christus" oder nur eines der Worte „Du", „Dein", „Dir" oder „Dich".
Viele Christen und Christinnen in aller Welt meditieren mit dem alten christlichen Gebet, das manchen aus dem Abendmahlsgottesdienst bekannt sein wird: Maranatha*5! Dieser Gebetsruf kann als Bitte „Unser Herr, komm!" oder als Bekenntnis „Unser Herr kommt!" verstanden werden.
Mit welchem Wort oder Satz Sie auch meditieren mögen, immer gilt die Regel: Sprechen oder beten Sie das Wort innerlich. Dabei sollen die Wortsilben immer die gleiche Länge haben, zum Beispiel „Ma-ra-na-tha". Wiederholen Sie Ihr Wort immer wieder bis Ihre Meditationszeit zu Ende ist. Denken Sie nicht über das Wort oder über seine Bedeutung nach. Werden Sie immer mehr eins mit dem Wort. Legen Sie ihre ganze Sehnsucht, Ihre Freude oder Ihren Kummer, Ihr Glück oder Ihren Schmerz in dieses Wort. Legen Sie Ihr ganzes Wesen, Ihr ganzes Leben in das Wort. Und immer wenn Sie abgelenkt werden, kehren Sie wieder zurück zum innerlichen Sprechen Ihres Wortes.
Und sprechen Sie Ihr Wort voller Hingabe zu dem Geheimnis hin, das wir Gott nennen. Sprechen Sie Ihr Wort voller Sehnsucht nach Gott, auch wenn Sie voller Bedenken oder Zweifel sind. Sprechen Sie Ihr Wort voller Vertrauen, daß dieses Wort nicht ins Leere, nicht ins Nichts gesprochen wird.
Es kann sein, daß Sie eine zeitlang nach dem Wort suchen müssen, das Ihnen angemessen ist. Wenn Sie aber Ihr persönliches Wort gefunden haben, dann sollten Sie für eine lange Zeit, manchmal auch für immer, bei diesem Wort bleiben. Es ist nicht gut, es immer wieder mit einem anderen Wort zu versuchen.
Das schließt nicht aus, daß Ihnen eines Tages ein neues Wort gegeben wird – vielleicht durch einen in der Meditation erfahrenen Menschen, vielleicht auch durch eine innere Eingebung beim Meditieren oder beim Beten.
Nur sitzen und atmen
Manchmal kann es dabei geschehen, daß das Wort plötzlich nicht mehr da ist. Sie erfahren, daß Sie nur gesammelt, wach und schweigend sitzen, wie in einer großen Stille.
Vielleicht nehmen Sie wahr, wie Sie sitzen, wie Sie von Ihrem Stuhl, dem Meditationsbänkchen oder dem Boden unter Ihnen getragen werden.
Und dann sitzen Sie. Sie tun nichts als zu sitzen und zu sitzen und zu sitzen. Sie gehen ganz in Ihrem Sitzen auf.
Vielleicht nehmen Sie auch wahr, wie Sie atmen: Sie atmen ein und sie atmen aus, immer wieder. Vielleicht atmen Sie ganz ruhig, langsam und tief, und das ist in Ordnung; vielleicht atmen Sie auch schneller und kürzer als Ihnen lieb ist, aber auch das ist in Ordnung. Machen Sie nichts mit Ihrem Atem. Lassen Sie Ihren Atmen kommen und gehen, lassen Sie ihn fließen wie er fließt und versuchen Sie in keiner Weise ihn zu beeinflussen. Auch das ist eine Weise der Meditation, nur gesammelt zu sein auf den Atem oder einfach nur zu sitzen: wach, gesammelt und schweigend.
Wenn Sie sich aber dessen bewußt werden und wenn Sie anfangen, über Ihr Sitzen oder über Ihr Atmen nachzudenken, dann kehren Sie wieder zurück zu Ihrem Wort und wiederholen es treu und regelmäßig.
Keine Methode - eine innere Haltung
Vielleicht erscheint Ihnen das alles als viel zu methodisch und zu äußerlich; vielleicht haben Sie den Eindruck, als sei Meditation, wie sie hier dargestellt wird, nur ein mechanisches Wiederholen der immer gleichen Worte.
Natürlich besteht die Gefahr, daß mein Meditieren zu etwas Mechanischem wird. Aber es geht um viel mehr, denn es kann viel bedeuten, wenn ich meinen Tag beginne oder beschließe, indem ich mich für eine bestimmte Zeit hinsetze und in mir heilende oder heilsame Worte bewege. Es ist ein großer Unterschied, ob ich meinen Tag mit den Worten beginne „Du bist da!" oder mit den Worten „Es wird mir alles zu viel!" Das eine Mal hole ich hilfreiche, heilende und tröstende Worte in mich hinein, das andere Mal lähmende oder sogar zerstörerische.
Und wenn ich regelmäßig Worte in mir wiederhole wie „Der Herr ist mein Hirte", dann hole ich sie im wahrsten Sinne des Wortes wieder; dann hole ich sie wieder in mein Gedächtnis, in mein Herz, in mein Leben und meine Seele. Und je tiefer solche guten Worte in mich hineinsinken, um so mehr erfüllen und prägen sie mein Leben, um so mehr werden sie zu einer tragenden und heilenden Kraft.
Ich glaube, daß es wichtig ist, daß wir uns an Gutes und Heilsames erinnern, weil so viel Ungutes und Zerstörerisches Tag für Tag auf uns eindringt, uns umgibt.
Und je länger ich meditiere, um so mehr kann meine Meditation zu einer inneren Haltung werden. Wenn ich mich treu darin übe, mich ganz auf meinen Atem, mein Sitzen oder mein Wort zu sammeln, wenn ich mich übe, achtsam mein Wort zu sprechen, dann werde ich langsam auch achtsam in anderen Dingen: Wenn ich jemandem zuhöre, dann höre ich zu; wenn ich bügeln muß, dann bügle ich; wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich laufe, dann laufe ich, wenn ich lese, dann lese ich und so weiter. Ich lerne es ganz langsam, ganz bei der Sache zu sein, die gerade dran ist, die ich gerade tue oder tun muß.
Und wenn ich mich regelmäßig darin übe, mein Wort voller Hingabe und in Vertrauen zu sprechen – selbst wenn ich nicht weiß, wohin sich meine Hingabe richtet und worauf mein Vertrauen zielt – dann kann es eines Tages geschehen, daß Hingabe und Vertrauen zu einer inneren Haltung werden.
Wie das Menschen erleben oder erfahren, ist ganz unterschiedlich. Manche erleben es so, als wenn ihnen ein Licht aufgeht über sich selbst, über ihr Schicksal, über Gott oder die Welt. Andere entdecken plötzlich eine große Ruhe in sich, die sie trägt und begleitet trotz und in aller Unruhe. Wieder andere entdecken, daß sie ihr Schicksal annehmen und tragen können, obwohl ihnen das bisher völlig unmöglich erschien. Manche fühlen sich tief mit dem Göttlichen verbunden, unabhängig ob sie meditieren oder nicht.
Und wieder andere erfahren nichts. Erstaunt, manchmal auch ein bißchen traurig hören sie von den Erfahrungen anderer.
Ich glaube, daß es vielen von uns bestimmt ist, Gott nicht zu erfahren, sondern ihn zu entbehren und zu vermissen. Vielleicht ist es geradezu das Schicksal unserer Generation Gott zu entbehren. Vielleicht ist es uns zur Zeit bestimmt, Gott zu suchen, ihn zu ersehnen und nach ihm zu verlangen – ohne das unser Suchen, Sehnen und Verlangen gestillt wird. Es ist so, als sei es uns bestimmt, nur negative Erfahrungen mit Gott zu machen. Aber auch das sind Gotteserfahrungen, die es auszuhalten und zu tragen gilt. Dabei können wir gewiß sein, daß Gott, daß das Göttliche uns nicht ferner ist als den Menschen, die Gottes ganz gewiß sind.
Und so setzen wir uns regelmäßig hin, entspannt und ganz wach und sagen innerlich unser Wort – aufmerksam, gleichmäßig, immer wieder von neuem und legen unser ganzes Sein in dieses Wort, auch unsere Sehnsucht nach dem Geheimnis des Göttlichen, auch unsere Sehnsucht nach Christus.
Meditieren ohne Absicht
Gerade wenn wir das Gefühl haben, daß unsere Meditation zu nichts führt, geraten wir in die Gefahr mit und durch die Meditation etwas erreichen oder sogar erzwingen zu wollen. Aber wir meditieren, um zu meditieren – ohne Ziel, ohne Absicht, ohne etwas bestimmtes zu wollen. Der Mystiker Angelus Silesius dichtet: „Die Ros’ ist ohn’ warum; sie blühet, weil sie blühet, sie acht’ nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.*6"
Wenn wir unsere Meditation üben, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, verderben wir sie bevor wir sie beginnen. Sich hinsetzen und das Wort innerlich sprechen ist ein absichtsloses Tun. Das mag uns befremdlich erscheinen in einer Zeit, in der wir alles mit einem Zweck oder einer Absicht verbinden. Aber es ist auch erleichternd und befreiend, wenn wir einmal nichts erreichen müssen, wenn wir einfach nur da sein dürfen*7.
Es mag uns auch befremdlich sein, das gleiche Wort immer neu zu sprechen. Aber Meditation lebt von der Wiederholung. Durch Wiederholung lasse ich ein Wort auf mich wirken und langsam in mich, in mein Herz, in meine Gedanken, in mein ganzes Wesen, in mein Unbewußtes einsinken. Auf diese Weise breitet das Wort seine Wirkung und Bedeutung aus. Ich wiederhole etwas und hole es dadurch wieder in das Innerste meines Inneren, in meine Seele.
Weil Meditation von der Wiederholung lebt, darum werden in diesem Buch auch immer wieder die gleichen oder einander ähnliche Gedanken auftauchen.
________________________________________
*1) Z.B. Enomiya-Lasalle, Zen-Untwerweisung, Kösel 1987 oder: Johannes Kopp, Schneeflocken fallen in die Sonne.
*2) Manchmal bildet sich durch die Entspannung viel Speichel im Mundraum. Am besten ist es, ihn hinunterzuschlucken ohne sich daran zu stören. Mit der Zeit wird das Phänomen vergehen.
*3) Näheres dazu in Johannes Cassian, Das Ruhegebet, Köselverlag 1992.
*4) Zur Herkunft und Entstehung des Jesusgebetes siehe „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers", herausgegeben und eingeleitet von Emmanuel Jungclaussen, Herderverlag.
*5) Vgl. John Main, Das Herz der Stille, Herderverlag 2000 und andere Veröffentlichungen des gleichen Verfassers.
*6) Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, Johannes Verlag 1980.
*7) Weiteres zu den grundsätzliche spirituellen Themen wird in den zweiundfünfzig Betrachtungen dieses Buches vorgetragen.